Hintergrundinformation: Handlungsoptionen im Kampf gegen die Keime

BVL will antibiotikaresistente Keime in Tierbeständen durch wirkungsvolle Managementmaßnahmen in den Griff bekommen

Datum: 16.11.2004

Wie ist die Entwicklung und Verbreitung von Resistenzen gegenüber antibiotisch wirkenden Tierarzneimitteln bei Mikroorganismen zu minimieren? Mit dieser Fragestellung beschäftigten sich Experten auf einem Symposium „Risikomanagement zur Begrenzung von Antibiotikaresistenzen“, das am 15. und 16. November 2004 in Berlin stattfand. Veranstaltet wurde es vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Die Unempfindlichkeit bakterieller Infektionserreger gegen antimikrobiell wirkende Substanzen ist ein weltweit verbreitetes Problem. Fachleute gehen sogar davon aus, dass mit einer weiteren Zunahme an Antibiotika bedingten Resistenzen zu rechnen ist. Besondere Probleme bereiten Erreger, die nicht nur gegen ein Antibiotikum resistent sind, sondern auf mehreren Antibiotika nicht mehr ansprechen. Exakte Zahlen für Einfach- und Mehrfachresistenzen können derzeit nicht festgelegt werden, da keine sicheren Daten zur Epidemiologie der Resistenzentwicklung und -ausbreitung vorliegen. Auch die geographische Verteilung der Resistenzen kann nicht genau eingegrenzt werden.

Der Einsatz von Antibiotika begann vor etwa fünfzig Jahren. Damals galten sie als Wunderwaffe im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Doch schon bald stellte sich heraus, dass jeder Einsatz von Antibiotika dazu führt, dass Bakterien Abwehrmechanismen gegen diese Wirkstoffe erwerben, also resistent gegen das Antibiotikum werden. Antibiotika wurden Mitte der sechziger und Anfang der neunziger Jahre zunehmend in der Human- und Veterinärmedizin eingesetzt. In dieser Zeit traten vermehrt Resistenzen auf und verbreiteten sich rasch. In den siebziger Jahren wurden weltweit Mehrfachresistenzen bei verschiedenen grampositiven und gramnegativen Bakterien beschrieben.

Seitdem herrscht ein Mangel an neuen Wirkmechanismen, was Experten befürchten lässt, dass das Problem therapieresistenter und vor allem multiresistenter Infektionserreger noch lange Zeit weiter bestehen wird. Die Einführung der Cephalosporine der 3. Generation, der Chinolone sowie der Carbapeneme zu Beginn der achtziger Jahre verdrängte den von Wissenschaftlern beklagten Therapienotstand aus der Diskussion. Doch die Resistenzsituation bei den verschiedenen Wirksubstanzen einer Antibiotikaklasse ändert sich durch die Einführung neuer Substanzen mit gleichem Wirkprinzip nicht. Ein weiteres Beispiel ist die Neueinführung der Fluorchinolone in der Klasse der Chinolone. Neue Wirkprofile waren und sind immer noch dringend erforderlich, um die zunehmende Resistenzbildung aufzuhalten.

Resistenz bei Bakterien –Mutation und Austausch von Genmaterial

Bakterien erwerben eine Resistenz durch Mutationen oder durch den Austausch von Resistenzgenen mit anderen Bakterien. An diesem Austausch sind nicht nur krankheitserregende Bakterien beteiligt, sondern auch Bakterien, die nicht zu Infektionen führen. Solche apathogenen Bakterien können viele Resistenzen in sich tragen. Sie sind allgemein verbreitet und können daher ihre Resistenzen an unterschiedliche pathogene Bakterienarten weitergeben.

Die Übertragung resistenter Erreger auf den Menschen ist auf mehreren Wegen möglich. Lebensmittel tierischer Herkunft können resistente Bakterien enthalten und Antibiotika-Rückstände können in der menschlichen Darmflora zu einer Resistenzselektion führen. Bei behandelten Nutz- und Heimtieren kann es durch direkten Kontakt mit dem Tier zu einer Übertragung resistenter Keime, zum Austausch von Resistenzgenen mit humanpathogenen Keimen sowie zur Kolonisation mit resistenten Keimen kommen. Die Übertragung ist auch über Ausscheidungen resistenter Keime aus dem Darm der Tiere möglich. Das Ausmaß der möglichen Übertragungen wurde bisher nicht quantifiziert.

Unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika erhöht die Resistenzbildung

Antibiotika werden häufig unsachgemäß angewandt. Studien aus Kanada zeigen, dass ca. 50 Prozent aller Verordnungen medizinisch nicht gerechtfertigt sind. Der falsche Einsatz erfolgt oft bei fieberbedingten Erkrankungen in der Annahme, dass die Erkrankung auf eine bakterielle Infektion zurückzuführen ist. Ohne den Nachweis einer bakteriellen Infektion sollte jedoch möglichst keine antibakterielle Therapie eingeleitet werden. Die Verdachtsdiagnose sollte zunächst durch klinische Befunde und bakteriologische Untersuchungen bestätigt sein. Diese Untersuchungen weisen zudem auf ein wirksames Antibiotikum hin.

Insbesondere bei Infektionen mit polymikrobieller Ursache oder multikausaler Genese wird oft ein nicht wirksames Antibiotikum ausgewählt. Neben dem vorschnellen Einsatz von Antibiotika erhöhen eine falsche Darreichungsform, eine nicht ausreichend hohe Dosierung, eine unsachgemäße Kombination von Wirkstoffen oder die Nichtbeachtung des Dosierungsintervalls und der Therapiedauer die Gefahr der Resistenzbildung.

Auch der vorzeitige Abbruch einer wirksamen Therapie und der versäumte Wechsel zu einer anderen wirksamen Substanz bei Sekundärinfektionen bzw. die Fortführung der Therapie nach Resistenzentwicklung fördern die Resistenzentstehung. Vor allem in der Chirurgie werden häufig unsinnig Antibiotika eingesetzt, um Infektionen vorzubeugen. Der Einsatz von Antibiotika anstelle eines chirurgischen Eingriffs ist ebenfalls vielfach nicht sinnvoll.

Strategien des Risikomanagements

Ziel des Risikomanagement ist es, die Entstehung von Resistenzen zu kontrollieren und die Verwendung von Antibiotika strengen Richtlinien zu unterwerfen. Die Entstehung resistenter Erreger soll so verhindert und die Anwendung von Antibiotika reduziert werden. Präventive Maßnahmen sollen die Selektion und Ausbreitung bakterieller Krankheitserreger verhindern.

Um den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika zu verhindern, eine effiziente Therapie durchzuführen und die Gefahr der Resistenzselektion zu minimieren, muss der aktuelle Stellenwert der einzelnen Antibiotikagruppen im Konsens mit Fachgremien, Arzneimittelherstellern und Zulassungsbehörden (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) klar definiert werden. So entwickelte Standards zur Therapie und Kontrolle bakterieller Infektionskrankheiten bieten die beste wissenschaftliche Grundlage für die Bekämpfung der Resistenzentwicklung und -ausbreitung.

Einen Beitrag zur Harmonisierung von Bewertungskriterien für Antibiotika in der EU können auch drei Leitlinien leisten, die für den Humanbereich 1997 verabschiedete "Guideline on the pharmacodynamic section of the SPC for anti-bacterial medicinal products, CPMP / EWP / 520 / 96", die für die Veterinärmedizin seit 2003 geltende "Guideline on pre-authorisation studies to assess the potential for resistance resulting from the use of antimicrobial veterinary medicinal products, EMEA / CVMP / 244" und die "Note for Guidance on antimicrobials for general veterinary use in target animal species EMEA / CVMP / 627".

Die für die Zulassung von Antibiotika zur Therapie beim Menschen gültige Richtlinie fordert für antimikrobiell wirksame Substanzen die Ermittlung aktueller Resistenzdaten durch den Arzneimittelhersteller und ein entsprechende Aktualisierung der Daten in Abständen von fünf Jahren. Die für die Veterinärmedizin anwendbaren Richtlinien formulieren die Anforderungen, die eine Abschätzung der Risiken des Einsatzes antimikrobieller Stoffe in der Veterinärmedizin ermöglichen. Die zweite Richtlinie ist ein Leitfaden zur detaillierten Ermittlung der effektiven Wirkung einer antimikrobiellen Substanz. Die Minimierung des Risikos der Resistenzentwicklung steht dabei im Vordergrund. Durch eine adäquate Therapie kann das Risiko einer Resistenzausbildung reduziert werden.

Eine umfassende Bewertung des Resistenzproblems bei Bakterien vom Menschen und von Tieren ist aber nur dann möglich, wenn zusätzlich zu den Ergebnissen des Resistenzpotentials von Bakterien verlässliche epidemiologische Daten zu möglichen Einflussfaktoren vorliegen. Zu diesen epidemiologischen Angaben gehören Daten zu den Verbrauchsmengen antimikrobieller Wirkstoffe in Bezug auf die Tierart, zur Indikation und zur Anwendungsart. Auf der Basis dieser Daten ist dann die Prüfung möglich, ob für jedes Antibiotikum bzw. jede Antibiotikaklasse eine direkte Verknüpfung zwischen Antibiotikaeinsatz und der Entwicklung bzw. der Ausbreitung von Antibiotikaresistenz besteht.

Klinische Beurteilung von Antibiotika

Die Beurteilung der klinischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Antibiotika durch die Zulassungsbehörde in Deutschland basiert auf den Bestimmungen des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln - Arzneimittelgesetz (AMG). Sie muss sich insbesondere am aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren, also etwa an aktuellen Monitoringstudien, die die systematische Sammlung, Analyse und Bewertung der Daten zur Empfindlichkeit bakterieller Keime gegenüber antimikrobiell wirksamen Substanzen beinhalten.

Die Ergebnisse dieser Studien sollten auch zur Klärung der Fragestellung beitragen, inwieweit der Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin Einfluss auf die Humanmedizin hat. Da bisher nur für einige wenige Infektionskrankheiten Studien zur optimalen Dosierung und Therapiedauer durchgeführt wurden, wäre eine intensivere klinische Forschung z. B. zur Dosisfindung, vor allem auch bei älteren Antibiotika/Chemotherapeutika wünschenswert. Zudem sollte eine Evaluierung, insbesondere von Prophylaxe-Indikationen und -Regimen demgemäß in festgelegten Zeitabständen erfolgen, da besonders auch der prophylaktische Einsatz von Antibiotika einen wesentlichen Anteil an der Resistenzselektion der Erreger hat.

Grundsätzlich kann aber nur der restriktive und verantwortungsvolle Einsatz der vorhandenen antimikrobiell wirksamen Substanzen einem "Resistenzkollaps" wirkungsvoll entgegenwirken. Jede überflüssige und ungezielte oder nicht zu Ende geführte Antibiotikatherapie begünstigt eine Resistenzselektion und kann den Gen-Pool mit Antibiotikaresistenzen bei Infektionserregern vergrößern.

Ausgabejahr 2004
Datum 16.11.2004

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