BVL prüft Rattenfütterungsstudie mit gentechnisch verändertem Mais und glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln (Seralini et al. 2012)

Datum: 05.10.2012

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ist in Übereinstimmung mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer ersten vorläufigen Bewertung der Rattenfütterungsstudie von Seralini et al. mit gentechnisch verändertem Mais und glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln zu dem Ergebnis gelangt, dass die Schlussfolgerungen der Autoren nicht gerechtfertigt sind. Gründe dafür sind die Unzulänglichkeiten des Studiendesigns sowie die Art der Datenauswertung und der Datenpräsentation.

Am 19. September 2012 wurde in der Fachzeitschrift “Food and Chemical Toxicology” die Publikation “Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize” von Séralini et al. veröffentlicht. Ziel der Studie war es nach Angaben der Autoren, mögliche toxische Effekte durch die Verfütterung von gentechnisch verändertem glyphosattoleranten Mais NK603 sowie der Verabreichung einer kommerziellen glyphosathaltigen Formulierung (Roundup GT Plus) in einer Langzeit-Rattenfütterungsstudie über zwei Jahre zu untersuchen. Zusammenfassend sind die Autoren zu dem Ergebnis gelangt, dass Tiere der Testgruppen früher und häufiger als die Kontrolltiere sterben und mehr sowie früher Tumore entwickeln würden. Die Autoren der Studie vermuten, dass dies auf hormonelle Störungen durch das Herbizid Roundup bzw. auf Stoffwechselprozesse, die durch die gentechnische Veränderung ausgelöst werden, zurückzuführen sei.

Das BVL hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Publikation in enger Zusammenarbeit mit dem BfR mit einer Bewertung der veröffentlichten Ergebnisse und Schlussfolgerungen begonnen. Weiterhin hat das BVL zwei Experten der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, Prof. Dr. Paolo Steinberg (Universität Hannover) und Prof. Dr. Edmund Maser (Universität Kiel), beteiligt.

Das BVL weist darauf hin, dass das Design der Studie nicht den international anerkannten Standards für Langzeitstudien zu Kanzerogenität (z. B. OECD-Richtlinie 451 oder 453) entspricht. Da aufgrund altersbedingter pathologischer Veränderungen bei Ratten große Unterschiede zwischen den einzelnen Versuchstieren einer Gruppe auftreten können, fordert die OECD in den entsprechenden Langzeitstudienprotokollen eine Mindestanzahl von 50 Tieren je Gruppe, während in der vorliegenden Studie pro Gruppe nur je zehn Tiere untersucht wurden.

Die Autoren berücksichtigen in keiner Weise historische Kontrolldaten, die für den verwendeten Rattenstamm (Sprague-Dawley) vorliegen. Generell bewegt sich die zweijährige Versuchsdauer im Bereich der durchschnittlichen Lebenserwartung der hier verwendeten Laborratten. Sprague-Dawley-Ratten erkranken zudem relativ häufig spontan an Tumoren. So fanden sich in Langzeitstudien mit unbehandelten Sprague-Dawley-Ratten Tumorinzidenzraten von 70-76,7 % für Männchen und 87-95,8 % für Weibchen. Die Tumorinzidenz steigt mit zunehmendem Alter der Tiere an, allerdings ist auch für junge Tiere das spontane Auftreten von Tumoren dokumentiert.

Die Verteilung der Todesfälle und Tumorraten auf die unterschiedlichen Behandlungsgruppen kann im Falle der Seralini-Studie zufällig sein, da eine Gruppengröße von zehn Tieren pro Geschlecht zu gering ist, um einen Trend oder einen Effekt abzusichern. In Bezug auf die Mortalität und die Tumorhäufigkeit zeigen Seralini et al. lediglich deskriptive Daten, die zudem in unüblicher Form präsentiert werden. Meist erfolgt die Angabe in Prozent, einem „Vielfachen“ (z. B. x times more) oder durch Nennung eines Maximalwertes (up to). Dabei wird die Kontrollgruppe oftmals undifferenziert gegen die Testgruppen verglichen, wobei für die Testgruppen der höchste gefundene Wert genannt wird. Eine statistische Auswertung, die untersucht, ob die bestehenden Unterschiede zwischen den Gruppen zufallsbedingt oder statistisch signifikant sind, fehlt.

Deshalb hat das BVL aus Abbildung 1 der Publikation Werte zur Mortalität der Versuchstiere entnommenen, um eine entsprechende statistische Auswertung durchzuführen. Das BVL hat eine Kaplan-Meier Analyse zur Schätzung der Überlebensfunktion durchgeführt. Dabei ist das BVL zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gruppengröße bzw. die beobachteten Unterschiede in den Überlebensfunktionen der einzelnen Gruppen zu gering sind, um mögliche Effekte der Behandlungen auf die Überlebensdauer statistisch absichern zu können.

Das BVL geht auf Basis dieser vorläufigen Auswertung davon aus, dass die Aussage, Ratten, welche NK603 Mais im Futter bzw. Roundup im Trinkwasser erhalten haben, würden früher sterben, durch die Ergebnisse von Seralini et al. 2012 nicht gestützt wird. Eine statistische Auswertung weiterer Daten, z.B. der Krebsrate, kann aufgrund unzureichender Präsentation der Ergebnisse nicht durchgeführt werden.

Die Autoren der Studie erhoben im Verlauf der Studie neben Mortalität und Krebsrate eine Vielzahl weiterer Daten, von denen im Ergebnisteil aber nur eine sehr begrenzte und nach subjektiven Kriterien der Autoren bestimmte Auswahl an Ergebnissen gezeigt werden („All data cannot be shown in one report, and the most relevant are described here.“).

Die Darstellung der Daten zur Analyse der biochemischen Parameter (Blut, Urin) ist schwer nachvollziehbar und die Ergebnisse lassen sich nicht bewerten. Zwar wurden zu den Zeitpunkten 1, 2, 3, 6, 9, 12, 15, 18, 21 und 24 Monaten entsprechende Daten für alle Behandlungsgruppen erhoben, es werden aber nur Daten von einer der neun Testgruppen gezeigt, die nach 15 Monaten erhoben wurden. Wie die Ergebnisse zu den anderen Messzeitpunkten und/oder in den anderen Behandlungsgruppen aussahen, wurde nicht aufgeführt. Zur Überprüfung wären Einzeldaten zu allen Messzeitpunkten und aus allen Behandlungsgruppen erforderlich.

Die zu diesen Daten durchgeführte Diskriminanzanalyse ist in erster Line geeignet, Strukturen in umfangreichen Datensätzen aufzudecken. Sie ist jedoch in der vorliegenden Veröffentlichung so unzureichend dokumentiert, dass sie nicht geeignet ist, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Behandlungsstufen und beobachteten Ergebnissen zu belegen. Eine Interpretation solcher selektiv ausgewählter Daten ohne Berücksichtigung der Datengesamtheit hält das BVL nicht für zulässig. Das BVL hat daher die Autoren der Studie um einen vollständigen Bericht inklusiver aller Rohdaten gebeten, um eine Detailanalyse zu ermöglichen.

Ergänzung 18.12.2013:

Am 28. November 2013 wurde von der Fachzeitschrift “Food and Chemical Toxicology” bekanntgegeben, dass die Publikation „Seralini et al., 2012“ nach intensiver Prüfung durch die Zeitschrift zurückgezogen wird. Begründet wurde die Rückziehung damit, dass die dargestellten Ergebnisse letztendlich nicht aussagekräftig sind.

Ausgabejahr 2012
Datum 05.10.2012

Pressekontakt

Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)
Presse und Öffentlichkeitsarbeit • Gerichtstraße 49 • 13347 Berlin
Telefon: 030 18444 -88250 • Fax: 030 18444 -89999
E-Mail Adresse: * presse@bvl.bund.de