Gefahrstoffrechtliche Einstufung und Kennzeichnung von Pflanzenschutzmitteln, wenn sich die Einstufung von darin enthaltenen Wirkstoffen oder Beistoffen ändert

Die hier vorgestellten Informationen lösen die zuvor an dieser Stelle gezeigte Bundesanzeiger-Veröffentlichung vom 1. Juni 2011 (Ausgabe 84, S. 2022) ab. 

Auf Grundlage neuer Erkenntnisse oder durch die erstmalige Festsetzung einer Einstufung und Kennzeichnung nach Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung) kann es zu Änderungen der gefahrstoffrechtlichen Einstufung (hiermit sind im Text auch die ergänzenden Gefahrenmerkmale für die Kennzeichnung gemeint) von Wirkstoffen, Safenern, Synergisten und weiteren Inhaltsstoffen von Pflanzenschutzmitteln kommen.

Solche Änderungen harmonisierter Einstufungen/Kennzeichnungen basieren auf einem Verfahren in der Zuständigkeit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Im Ergebnis des Bewertungsprozesses veröffentlicht die ECHA Stellungnahmen des Ausschusses für Risikobewertung (RAC-Opinion) zu den stofflichen Gefahren der bewerteten Substanzen. RAC-Opinions bilden die fachliche Grundlage für eine delegierte EU-Verordnung zur Anpassung des Anhangs VI der CLP-Verordnung (ATP). In diesem sind die harmonisierten Einstufungen und Kennzeichnungen aller geregelten Substanzen enthalten. Die Bewertungsergebnisse der RAC-Opinions werden im Regelfall ohne Änderungen umgesetzt und sind damit eine wertvolle Informationsquelle, um frühzeitig Hinweise auf Anpassungen der CLP-Verordnung zu erhalten. Die Dokumente sind im Internetangebot der ECHA verfügbar. 

Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (Art. 56 Abs.1 und Art. 31 Abs 2) verpflichtet Zulassungsinhabende, das BVL unverzüglich über potenziell schädliche Auswirkungen zu informieren. Hierunter fallen auch Änderungen der Einstufung und Kennzeichnung nach CLP-Verordnung bei Wirkstoffen, Safenern, Synergisten und sonstigen Inhaltsstoffen. Je nach Art der Änderungen bzw. der potenziell schädlichen Auswirkungen müssen aktualisierte Sicherheitsdatenblätter und gegebenenfalls neue Dokumente oder Studien vorgelegt werden. 

Aktualisierte Sicherheitsdatenblätter sind dem BVL schnellstmöglich nach Veröffentlichung der RAC-Opinion, aber spätestens zum Inkrafttreten der ATP vorzulegen. Weitere Unterlagen, wie z. B. Studien zur Relevanz von Grundwassermetaboliten, sind mit dem Bekanntwerden der Änderungen, z. B. auf Basis der RAC-Opinion, schnellstmöglich dem BVL vorzulegen oder anzukündigen. Sofern die Bewertung solcher Dokumente durch andere EU-Mitgliedstaaten erfolgen soll, ist das BVL über das geplante Vorgehen zu informieren. 

Nachfolgend sind drei Regelungsbereiche für zugelassene Pflanzenschutzmittel aufgeführt, die durch die Änderungen der Einstufung und Kennzeichnung betroffen sein können und die durch die Zulassungsinhabenden von Pflanzenschutzmitteln bei ihrer Meldung zu berücksichtigen sind. Zusätzlich zu neuen Kennzeichnungsregelungen auf Grundlage der CLP-Verordnung kann es erforderlich werden, die Auswirkung der geänderten Einstufung und Kennzeichnung auf die Zulassung der betroffenen Pflanzenschutzmittel zu überprüfen und bei Bedarf Änderungen vorzunehmen. 

(1)    Aktualisierung der Einstufung und Kennzeichnung des Mittels

In Abhängigkeit von geltenden Konzentrationsgrenzwerten kann es für Zulassungsinhabende erforderlich werden, eine Anpassung der Einstufung und Kennzeichnung von Pflanzenschutzmitteln vorzunehmen.
Für die sachgerechte gefahrstoffrechtliche Einstufung und Kennzeichnung eines Pflanzenschutzmittels ist in Deutschland grundsätzlich der Inverkehrbringer des Pflanzenschutzmittels verantwortlich. Dies steht in Übereinstimmung mit den rechtlichen Regelungen zur gefahrstoffrechtlichen Einstufung und Kennzeichnung nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008.
Überdies ist die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zu beachten. Gemäß Artikel 31 Absatz 2 Unterabsatz 2 ist bei einer Änderung der gefahrstoffrechtlichen Einstufung und Kennzeichnung von Wirk- und Beistoffen, die sich auf die Einstufung und Kennzeichnung des Pflanzenschutzmittels gemäß Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 auswirken, eine Anpassung des Etiketts des Pflanzenschutzmittels erforderlich.
Um betroffene Pflanzenschutzmittel weiterhin in Verkehr bringen zu dürfen, müssen sie spätestens zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der ATP auf den Etiketten und in Begleitdokumenten neu eingestuft und gekennzeichnet sein. In der Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln werden Risikominderungsmaßnahmen für die sichere Anwendung unter anderem basierend auf der Einstufung und Kennzeichnung des Mittels vergeben (Details finden sich in der Veröffentlichung „Hazard and risk based allocation of safety instructions to operators handling pesticides“ von Lichtenberg et al., 2015). Die Änderung der Einstufung und Kennzeichnung eines Pflanzenschutzmittels kann demzufolge dazu führen, dass sich Kennzeichnungsauflagen und Anwendungsbestimmungen ändern. Das BVL prüft die Angaben und Vorschläge der Antragstellenden zur gefahrstoffrechtlichen Einstufung und Kennzeichnung des Pflanzenschutzmittels anhand eines aktualisierten Sicherheitsdatenblattes sowie ggf. weiterer Dokumente und leitet bei Bedarf das Verfahren für notwendige Anpassungen der Kennzeichnungsauflagen und Anwendungsbestimmungen ein. Um eine sichere Anwendung zu gewährleisten, sollten diese Anpassungen schnellstmöglich, spätestens aber bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der ATP auf dem Etikett des Pflanzenschutzmittels umgesetzt sein. Es liegt im Ermessen des BVL bei gravierenden neuen Erkenntnissen vor dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der ATP Anpassungen zu Kennzeichnungsauflagen und Anwendungsbestimmungen per Änderungsbescheid vorzuschreiben.

(2)    Zulassungsfähigkeit des Mittels/von Anwendungen im Haus- und Kleingarten (HuK) 

Pflanzenschutzmittel dürfen im HuK nur angewendet werden, wenn diese u.a. weder als karzinogen, mutagen, reproduktionstoxisch, endokrin schädigend, sensibilisierend, sehr giftig, giftig, explosionsgefährlich oder ätzend eingestuft sind.
Dies entspricht den folgenden Einstufungen:

Nach Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-VO)
Gefahrenklasse, -kategorieH-Sätze/ergänzende EUH-Sätze
Carc. 1A, 1B, Carc. 2H350, H350i, H351
Muta. 1A, 1B, Muta. 2H340, H341
Repr. 1A, 1B, Repr. 2H360F, H360FD, H360Fd, H360D, H360Df, H361f, H361fd, H361d
Lact.H362
Resp. Sens. 1 (auch 1A oder 1B)H334
Skin Sens. 1 (auch 1A oder 1B)H317*
Acute Tox. 1, 2 oder 3, oral, dermal, inhalativ H300, H310, H330
oder
H301, H311 und H331
Asp. Tox. 1H304
Skin Corr. 1 (auch 1A, 1B oder 1C)H314
STOT SE 1
STOT RE 1
H370
H372
Unst. Expl.
Expl. 1.1 bis 1.5
H200
H201, H202; H203, H204, H205
EUH070 (Giftig bei Berührung mit den Augen.)
ED HH 1, ED HH 2EUH380, EUH381

*Im Einzelfall kann ein Pflanzenschutzmittel, das als sensibilisierend eingestuft ist, für die Anwendung im HuK zugelassen werden, wenn z. B. ein Kontakt mit dem unverdünnten Mittel durch entsprechende Darreichungsformen, Verpackungen und/oder Dosiersysteme bei bestimmungsgemäßer Anwendung vernachlässigbar ist oder die anwendungsfertige Spritzbrühe so verdünnt ist, dass diese nicht mehr als sensibilisierend zu betrachten ist.

Sofern sich aus der geänderten gefahrstoffrechtlichen Einstufung eine neue Einstufung des Pflanzenschutzmittels mit oben genannten Eigenschaften ergibt, werden Zulassungen für Anwendungen im Haus- und Kleingarten nach Anhörung der Zulassungsinhabenden widerrufen. Falls möglich, kann alternativ eine Umformulierung des Pflanzenschutzmittels erfolgen werden.

(3)    Aktualisierung der toxikologischen Relevanzbewertung von Grundwassermetaboliten

Metaboliten von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen, die auf Grundlage von Modellrechnungen oder Messergebnissen in Konzentrationen > 0,1 µg/L in das Grundwasser eingetragen werden, dürfen kein gentoxisches Potenzial aufweisen. Bei bestimmten gefahrstoffrechtlichen Einstufungen von Wirkstoffen muss weiterhin belegt werden, dass solche Metaboliten nicht die toxikologischen Eigenschaften der Muttersubstanz teilen. Die maßgeblichen Gefahrenklassen und –kategorien sind im europäischen Leitliniendokument zur Relevanzbetrachtung von Metaboliten im Grundwasser (Sanco/221/2000 – rev.11) festgelegt.
Aufgrund einer neuen oder aktualisierten Einstufung für einen Pflanzenschutzmittelwirkstoff kann eine neue Beurteilung der Relevanz von Metaboliten erforderlich werden. Dabei gibt das genannte Leitliniendokument als grundsätzliches Prinzip vor, dass Metaboliten, deren Muttersubstanz eine der nachfolgend aufgeführten Einstufungen aufweist, solange als toxikologisch relevant zu betrachten sind, bis die „nicht-Relevanz“ durch Studien belegt wurde.

Folgende gefahrstoffrechtliche Einstufungen sind zu berücksichtigen:

Nach Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-VO)Regelungen im Leitliniendokument zur Relevanzbetrachtung
(Stage 3 of Step 3)
Gefahrenklasse, -kategorieH-Sätze 
Carc. 1A, 1BH350Die Metaboliten sind direkt als relevant zu betrachten und Einträge > 0,1 µg/L in das Grundwasser sind auszuschließen.
Acute Tox. 1, 2 oder 3, oral, dermal, inhalativH300, H310, H330
oder
H301, H311 und H331
Nachweis erbringen, dass Eigenschaften der Muttersubstanz nicht von den Metaboliten geteilt werden.
STOT SE 1
STOT RE 1
H370
H372
Repr. 1A, 1B, Repr. 2H360F, H360FD, H360Fd, H360D, H360Df, H361f, H361fd, H361d
Carc. 2H351

Sofern eine neue Relevanzbetrachtung von Metaboliten vorzunehmen ist, wird es erforderlich, neue Informationen bzw. Studien zu Grundwassermetaboliten vorzulegen. Sofern neue Studien geplant werden, sollten diese schnellstmöglich nach Bekanntwerden der neuen Einstufung (z. B. Veröffentlichung der jeweiligen RAC–Opinion) initiiert werden. Dies zielt darauf ab, eine zeitnahe Bewertung zu ermöglichen und Ruhensanordnungen von Zulassungen zu beschränken oder ggf. zu vermeiden. Denn bei Grundwassereinträgen > 0,1 µg/L von relevanten Metaboliten werden zusätzliche Risikominderungs- maßnahmen erforderlich, die den Eintrag in das Grundwasser verringern oder die betreffende Anwendung verliert ihre Zulassungsfähigkeit und muss widerrufen werden.

Es ist laut Artikel 56 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 die Pflicht der Zulassungsinhabenden, die Auswirkungen bzw. neue Erkenntnisse, die sich aus einer Änderung der gefahrstoffrechtlichen Einstufung von Wirk- bzw. Beistoffen auf die weitere Zulassungsfähigkeit ihrer Pflanzenschutzmittel ergeben, zu prüfen und das Ergebnis der Prüfung ist dem BVL mitzuteilen.